Workshop für Helfer in der Flüchtlingshilfe
- By webpsychiater
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- 20 Feb, 2016
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Workshops zum Thema Flüchtlingshilfe und Empathie-Erschöpfung

Bericht über einen 2 Tage -Workshop im Jugendgästehaus Laubach
in Hessen
Neue Herausforderungen für Mitarbeiter der Jugendhilfe und Ehrenamtliche
Ende Oktober wurde an das Jugendgästehaus in Laubach in Hessen die Frage herangetragen, ob dort eine Not-Inobhutnahmestelle für sogenannte UMA = Unbegleitete minderjährige Ausländer aufgebaut werden könnte.
Quasi innerhalb weniger Tage (und befristet bis zum 31.3.2016) sollten hier bis zu 20 Jugendliche aufgenommen werden.
Schnell wurde klar, dass schon allein der Aufbau einer Infrastruktur fast unmöglich ist bzw. für die Mitarbeiter eine erhebliche psychische Belastung besteht , da zu viele Fragen zur Organisation und Umgang überhaupt nicht geklärt waren. Andererseits war es selbstverständlich, dass natürlich geholfen werden musste. Es fehlte also an Strukturen und personellen Ressourcen, die aber für die Arbeit mit problematischen Jugendlichen eigentlich unerlässlich sind. Gleichzeitig herrschte überall Unsicherheit, Angst und Chaos, eine Planungssicherheit war und ist überhaupt nicht gegeben.
Die syrisch-stämmige pädagogische Leiterin Nadja Homsi , Jochen Bantz vom Jugendgästehaus und sein Team boten ideale Voraussetzungen für die Arbeit, sowohl von den kulturellen Verständnis und Sprache, aber eben auch hinsichtlich der pädagogischen Qualifikation. Ganz und gar keine Selbstverständlichkeit, so schnell, so gute Mitarbeiter zu gewinnen.
Nachdem im November 2015 die ersten Jugendlichen DA WAREN, organisierten wir einen Workshop für die Mitarbeiter und luden benachbarten Einrichtungen für UMA ein, um in einen Erfahrungsaustausch zu kommen.
Nun muss man zugeben, dass es für viele Träger von Jugendhilfeeinrichtungen ein "Geschäft" sein kann, da die Einnahmen durch diese Arbeit durchaus lukrativ sind und möglicherweise andere defizitäre Aufgaben ausgleichen können. Einerseits trat also eine spürbare Abgrenzung im Sinne von Konkurrenzdenken auf. Andererseits wurde aber auch deutlich, dass bisherige Strukturen der Jugendhilfe-Arbeit wegbrechen. Manchmal, weil qualifiziertes Personal mit pädagogischen Erfahrungen durch die Vielzahl neuer Einrichtungen weggeworben wird bzw. als eine Art „Clone“ neue Einrichtungen betreuen muss. Oder weil das Jugendamt aufgrund personeller und struktureller Defizite (und Prioritätenveränderung in der Mittelzuweisung) für normale Arbeit und Jugendhilfeangelegenheiten offenbar keine Zeit und Mittel mehr hatte und schlicht überfordert reagierte.
Was WOLLEN und was BRAUCHEN die Flüchtlinge ?
Für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge selber steht dabei häufig das Ziel der Familienzusammenführung im Mittelpunkt. Sie werden aber - bewusst oder aber aufgrund von personellen Engpässen - ewig hingehalten, bis überhaupt ein Vormund für eine Antragstellung oder gar ein Asylantrag gestellt werden kann. Wenn dies aber nicht vor dem 18. Lebensjahr passiert - und das passiert praktisch nie - wird das Ziel des Nachzugs quasi verunmöglicht.
Man kann sich leicht vorstellen, dass dies bei männlichen Jugendlichen Frust und Rebellion auslöst, der dann aber direkt an die Mitarbeiter der Einrichtungen gerichtet ist, während das Jugendamt sich als Behörde auf bestehende Gesetze und Regelungen zurückzieht, ansonsten aber seltsam abstrakt bleibt.
Und natürlich stellen sich da auch Fragen, ob es nicht ein Ausnutzen von Angeboten ist, ob wirkliche Not oder aber eher ein materielles Interesse besteht. Nicht zuletzt wird man daher angesichts der vergifteten öffentlichen Atmosphäre (Stichwort : Sylvester-Übergriffe...) natürlich nicht überall mit offenen Armen empfangen, wenn man als „Gut-Mensch“ sich für Menschen in Not engagieren möchte.
Anders ausgedrückt : Die emotionalen Belastungen in der Arbeit mit Flüchtlingen erzeugt einen Haufen von Fragen.
Für die Erzieher bzw. Betreuer in der neuen Betreuungseinrichtung für die Jugendlichen zeigte sich schnell, dass es sowas wie Alltag überhaupt nicht geben konnte. Zuviele ungeklärte Zuständigkeiten, Fragen und Probleme und nicht zuletzt zunehmender Druck und übertriebene Erwartungen der Jugendlichen selber, machten es immer schwerer.
Da nun neue - erwachsene - Flüchtlinge für den Ort angekündigt wurden, entstand die Idee den ersten Helfer-Workshop jetzt für die Ehrenamtlichen vor Ort zu wiederholen.
Wie sich zeigte, war sowohl das Interesse wie auch der hohe Bedarf für Unterstützung von Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe riesig
Daher wurden Anfang Januar 2 zweitätige Workshops zum Thema Prävention der Empathieerschöpfung bei Helfern vom Jugendgästehaus Laubach veranstaltet. Wie ein Reporter der Giessener Zeitung dann feststellte, war dieses Projekt bisher wohl ziemlich einmalig zumindest für den Bereich Gießen und Hessen, wahrscheinlich aber auch weit darüber hinaus.
Wie sich zeigte, besteht dabei ein grosser Bedarf nach Informationen, noch stärker an Erfahrungsaustausch..
Hintergründe der Problematik in Syrien verstehen
Zunächst informierte die Sozialpädagogin Nadja Homsi über die Hintergründe der Flüchtlingsbewegung bzw. der Situation der Flüchtlinge in Syrien und der häufigsten Fluchtländer. Dabei ging es sowohl um religiöse, kulturelle aber auch wirtschaftliche Hintergründe. Aber auch die unterschiedlichen Rollenbilder von Mann und Frau waren Thema der Diskussion.
Nicht zuletzt ging es dann um das Zusammenbrechen jeglicher sozialer und wirtschaftlicher Gefüge in Syrien. Aber auch um die Fluchtwege und hierbei häufig anzutreffenden zusätzlichen Traumatisierungen während der Flucht.
Gesundheitsrisiken durch Flüchtlinge ?
In der Öffentlichkeit werden teilweise absurde Desinformationen über Gesundheitsrisiken und Erkrankungen von Flüchtlingen diskutiert bzw. unsachlich verbreitet. Zunächst wurden also allgemeine Informationen zum Gesundheitszustand bzw auch Impfstatus von Neuankömmlingen in Deutschland präsentiert. Fazit : Die Flüchtlinge sind einerseits durch die Bedingungen der Flucht, stärker aber in den Gemeinschaftsunterkünften gefährdet. Und das grösste Gesundheitsrisiko geht von der hiesigen Bevölkerung aus, wobei speziell Kleinkinder und Kinder betroffen sind.
Anpassungsstörung, Depressionen und Trauma / Dissoziation verstehen
Weiteres Thema war eine Vermittlung der neurobiologischen Grundlagen bzw. Hinweise zur Symptomatik und Umgang mit Themen wie Überforderung, Schlafstörungen, Angst und Depressionen bis hin zu Trauma-Folgestörungen. Was ist im Umgang mit traumatisierten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu beachten ?
Hier konnten wir einerseits aus Erfahrungen von Teilnehmern aus ihrer bisherigen beruflichen und privaten Beschäftigung profitieren bzw. eben Warnzeichen und konkrete Handlungsanweisungen entwickeln.
Empathie-Erschöpfung und Sekundäre Traumatisierung in der Arbeit mit Flüchtlingen
Wer sich engagiert ist häufig ein besonderer Mensch. Aber eben auch reizoffen bzw. häufig aufgrund bestimmter eigener biographischer Erlebnisse und Motive häufig besonders vulnerabel (empfindsam und empfänglich) für belastende Erlebnisse bzw. Traumatisierungen.
Als Sekundäre Traumatisierung wird die psychische Belastung bzw. eigene Traumatisierung bezeichnet, die durch das Wissen um die Traumaerfahrungen einer anderen Person entsteht. Und natürlich dem Kontakt mit dieser Person.
Als Empathie-Erschöpfung wird dabei ein Prozess bezeichnet, den Helfer häufig durchmachen, wenn Sie eigene Grenzen bzw. Möglichkeiten des Selbstschutzes nicht einhalten (können). Häufig nicht allein, weil die Erlebnisse so schlimm sind, sondern weil die Struktur und personellen Ressourcen für ein gutes Helfer-System nicht gegeben sind und beispielsweise Supervision oder andere entlastende Möglichkeiten zur Selbstfürsorge für die Helfer nicht existieren.
Lotsen-Funktion erlernen
Eine grosse Gefahr in der Arbeit mit Menschen in Not ist es, ist es, dass man sich mehr oder weniger Instrumentalisieren lässt. Damit ist gemeint, dass aus der Not (und Sprachbarrieren) heraus, möglicherweise Druck auf die Helfer ausgeübt wird, doch schneller oder über besondere Mittel und Wege die Interesse der Betroffenen durchzusetzen.
Schon allein, weil damit die Eigenaktivität und damit auch Würde und Selbststeuerung der Flüchtlinge ausgehebelt würde, muss sich sowohl der „Profi“ wie auch ehrenamtliche Helfer hier ABGRENZEN. Vermutlich ist dies mit die schwierigste und wichtigste Aufgabe in der ehrenamtlichen Arbeit.
Sei ein guter Lotse für die Betroffenen, d.h. begleite Sie durch deine Ortskenntnisse bzw. besseres Verständnis von Strukturen und Ansprechpartnern. Aber eben nur so weit, wie Sie es wirklich allein nicht schaffen würden. Lass die Menschen selber aktiv werden, bereite Ihnen entsprechende Wege und Möglichkeiten, übernehme aber nicht die Aufgaben oder gar die rechtliche und finanzielle Verantwortung. Verspreche NICHTS, was man nicht halten kann.

Ich fände es prima, wenn tatsächlich in jeder Stadt solche Angebote entwickelt werden. Für Rückfragen stehe ich (dr.martin.winkler(at)googlemmail.com) oder das Jugendgästehaus in Laubach zur Verfügung.